K466 allegro assai – Köln

Die Beschwörung der Malerei und des plastischen Körpers

Notizen für Antonio Ambrosino

Massimo Bignardi

Wie bereits im Katalog der aktuellen Ausstellung von Ambrosino in Cortina d’Ampezzo vermerkt, ist im künstlerischen Schaffen von Antonio Ambrosino im letzten Jahrzehnt eine gewisse Ruhelosigkeit erkennbar.

Ich meine damit allerdings nicht die Techniken, mit denen sich der Künstler seiner Vorstellungswelt annähert, sondern vielmehr das Verlangen, einen Dialog mit seiner eigenen Existenz zu schaffen.

Um es mit Calvinos Worten zur Literatur zu sagen, bedeutet künstlerische Erfahrung für Ambrosino vor allem die Erfahrung von Abstraktion und Formalisierung.

Der Prozess des Kontaktes mit der Welt, also mit der Realität, verläuft für den Künstler durch den Filter der Abstraktion, was auf die Entdeckung der Vitalität des Zeichens hinausläuft. Dieses Zeichen wiederum ist an einen „Raum“ gebunden und sichtbar. Daher auch sein ständiger Bezug zu Bildern voller Analogien bis hin zum Ready-made – also zu bereits gemalten Bildern, die zum Gebrauch zur Verfügung stehen.

Die Beschwörung der Malerei

Die Reihe von auf Alu-Dibond gedruckten Fotografien Naturalmente sguardi begann 2011, also vor 6 Jahren und ist seitdem zu einem Prozess der ganz bewusst erzielten Abstraktion geworden, bei der das Motiv eines sich kreisförmig schließenden Zeichens auf eine imaginare Präfiguration eines natürlichen “Auges” trifft, welches in vielfältigen Varianten sieht, beobachtet oder besser noch: von dem sich der Künstler beobachtet fühlt. Es handelt sich um “quere” Blicke, die sich, durch Gefühle ausgelöst, für Bruchteile von Sekunden kreuzen, bis sie von der Realität und dem Realismus gerade dieser Bilder eingeholt werden. Die Bilder wiederum werfen den Blick auf den Prozess des Beobachtens, d.h., auf die Fähigkeit, die das Auge besitzt, die „Blickwinkel“ der Natur auf die Welt der Existenz zu entlarven und es uns somit erlaubt, in den Prozess des Wandels, der Metamorphose einzudringen.

Ambrosino, der von der Malerei ausgeht, – die Werke, die die Reihe Naturalmente sguardi eröffnen, sind im Wesentlichen als stark kolorierte Gemälde konzipiert – scheint sich die Theorie Ferdinando Sciannas in Bezug auf das Fotografieren anzueignen, wonach der Fotograf „sich ein Stück der Welt, ein Stück seiner Erfahrung auswählt und Fährte aufnimmt“. Eine Auswahl, die auf der Annahme basiert, dass „die neuronalen Prozesse, welche mit Bildern zu tun haben, entscheidend sind für die Entwicklung des Bewusstseins und der persönlichen Identität“. Aber die bereits erwähnte stilistische Unruhe Ambrosinos führt neben und parallel zur Perspektive des Abstraktionsprozesses zu einer evidenten Tendenz der Formalisierung: Dies zeigt sich in seinen plastischen Werken bzw., wenn er mit der Materie in einen Dialog tritt, diese kontrolliert, oder, wenn man so will, dem Gefühl der Manipulation unterwirft. Die Eigenheit und Fähigkeit, die Antonio besitzt und als persönlich wieder erkennbare Ziffer seit Anfang der 2000er Jahre als mein Student an der Accademia di Belle Arti von Neapel mit sich trägt, besteht nämlich in der Fähigkeit, den Prozess der Formgebung (des Formens) zu beherrschen.

Die drei Werkzyklen der Ausstellung folgen unterschiedlichen Erzählzeiten:

Es beginnt mit Zeitfragmenten, die 2003 begannen und noch heute im Interesse des Künstlers stehen; dann gibt es die Attimi, ein Skulpturzyklus, der an das formelle Diktat der Fragmente erinnert, vor allem, was die Ordnung des Zeichens betrifft, das an das Dynamische von Amerigo Tot und dessen Flachrelief-Fliesen Fächer in Spiralform erinnert, wie sie u.a. in der Zwischendecke der “Sala della Vittoria” (1959) des Palazzo della Farnesina in Rom oder in den “Rilievi” (einer Skulptur im Römischen Landwirtschaftsministerium) zu sehen sind.

Schließlich befindet sich dort der Skulpturzyklus “Metamorphoseon”, konditionierte Formen, kürzlich vollendete Werke unterschiedlicher Größe, bei denen der Künstler seine Aufmerksamkeit auf die Welt der Formen und der Materie richtet.

Diese Werke verleiten ihn von Anfang an, wie er sich ausdrückt, dazu, „ mir strenge geometrische Formen vorzustellen, die Zeichen (also Zeugnisse) meines künstlerischen Weges“ darstellen. Die erste und auch die zweite Serie bestehen aus Skulpturen aus Holz, Terrakotta und Harz, die zwischen 2003 und 2016 realisiert wurden, als der Künstler die Umwelt, in der er lebt, aufmerksam beobachtet und jene Charakteristiken und Veränderungen erkennt, die ihn zu jenem verwickelten und komplexen Verbindungsnetz drängen, welches vom Einzelnen auf das Universellen hinweist.

Der rote Faden, der sich durch allen Phasen des künstlerischen Schaffens Ambrosinos‘ zieht, ist das Interesse des jungen Künstlers für die Bildhauerei.

Zusammengehalten werden diese drei Interessen des jungen kampanischen Künstlers von der Idee, etwas zu “formen”. Ambrosino machte sich die Werte der Anhänger des neapolitanischen Konkretismus und Abstrahismus zu Beginn der 50er Jahre zu eigen. Zu “formen”, so konnte man in ihrem Manifest von Januar 1954 lesen, „ist das moralische Engagement der Teilnahme an der Realität. Zu Formen bedeutet in der Realität zu sein und zu handeln“. Zunächst mit Frammenti und später mit Metamorphoseon ist die Plastik von Ambrosino eine Übung des Handelns als Erfahrung des “Seins” in seiner eigenen Zeit. Um nochmals auf das Interview Calvinos mit Madeleine Santschi von 1967 zurückzukommen, kann man feststellen, dass auch Ambrosino die Realität mit den Zeichen, mit denen diese dargestellt wird, in Beziehung stellt. Um diese Achse dreht sich sein Stil und dadurch stechen, alles in allem, die hier ausgestellten Werke hervor.

Ort und Körper der Skulptur

Von der Beziehung zwischen Zeichen, Ort und Körper, also einem Nachdenken über die Dimension des Ortes, worin unser Sein stattfindet, spricht die große Installation (1200x500x140 cm) In that time, too many lions will have the heart of the donkey, welche 2016 im Raum des Projekts „Vesica“ für das Fürstliche Gartenfest im Schloß Fasanerie von Fulda realisiert wurde:

Die Einladung erfolgte auf Empfehlung von Lucio Izzo, dem damaligen Direktor des Italienischen Kulturinstituts in Köln.

Es handelt sich um einen side specific, ephemeren und temporären, sehr symbolischen Beitrag, wo die magisch-rituelle ‚Figur’ des Rosenkranzes (aber auch des muslimischen Tasbih) zum strukturierenden Element des gesamten Raumes wird, den der Künstler bearbeitet hat, indem er sich 59 Reifen mit Felgen aus Harz, Kunststoff und langen, doppelten Gummischläuchen und anderen Materialien bedient. Das Projekt – so schrieb mir Ambrosino im Laufe seiner Ausarbeitung – „entstand aus einer aufmerksamen Reflektion meines Italienischseins und wurde vom ursprünglichen Sinn der Vesica Piscis, nämlich einem Symbol für Christus, geprägt“. Ich möchte nicht verbergen, dass ich auch geprägt wurde von einem Wort einer Rede in Fulda (im November 1980) des seligen Papstes Johannes Paul II.

Nachdem diesen eine Gruppe Gläubiger fragte, warum 1960 das 3. Geheimnis von Fátima nicht veröffentlicht wurde, antwortete er: „Es kann für die Christen ausreichend sein, folgendes zu wissen: Wenn es eine Nachricht gibt, in der

geschrieben steht, dass die Ozeane ganze Teile der Welt überfluten werden, dass, von einem Moment auf den anderen, Millionen von Menschen umkommen werden, dann ist es wohl nicht mehr notwendig, die Verkündung einer solchen Nachricht herbeizuwünschen. Dann zeigte er auf den Rosenkranz und fasste zusammen: Hier ist das Mittel gegen das Unglück. Betet, betet und wendet euch an die Madonna.“

Als Folge dieser Reflektionen wurde der Rosenkranz als zentrales Element des Werkes gewählt: Der Künstler stattet den Rosenkranz mit einem Verschlusskreuz aus, das durch die goldene Mähne eines Löwen geflochten wird. Dies deutet auf die Prophezeiung der Deutschen Mystikerin Teresa Neumann hin, die für die heutige Zeit vorhersah, dass „zu viele Löwen das Herz eines Esels haben werden“. Zweifelsohne entspricht das symbolische System, von dem der Künstler die Idee der Objekt – Form der großen Installation ableitet, genau dieser Form. Es ist wohl bekannt, dass in Neapel bzw. in Kampanien das Symbol/Objekt einen wesentlichen Bezug zur Religion und zur Magie besitzt. Antonio hat hier versucht, die physische Realität von der sozialen zu trennen. Wenn der Künstler sich auch einerseits auf die Form des Werkes in seiner Umgebung konzentriert, welche durch die Grünfläche der Beete charakterisiert wird und von denen bei den „Geheimnissen“ Johannes Pauls II. die Rede ist, so hält er dabei einen gleichmäßigen Abstand und eine klare Ordnung zwischen den „Elementen“ des Rosenkranzes und schließt den Kreis mit dem Abbild eines Löwen. Außerdem bewegt er sich in einer Natur, die den Garten symbolisiert. Es ist ein Ort, an dem der Mensch die Spiritualität der Natur wieder findet, es ist ein Ort des Gedankens und des Geistes.

Zum Thema “symbolisches Objekt” ist Marc Augé der Meinung, dass dieses „einzigartig“ sei, „aber die beiden Dimensionen enthält, kondensiert und zusammenführt, welche die Sprache des Beobachters gezwungen ist auseinander zu dividieren“.

Der dreidimensionalen Form und der Dimension der erdenen Umgebung stellt Ambrosino die Erfahrung des Blicks durch die Lupe der Realität gegenüber; ein Blick reinster Abstraktion, um die Fantasie des Beobachters von neuen Grenzen der eigenen Vorstellungswelt bis hin zum Spirituellen anzuregen.